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Dietrich Brand entstammte einer uralten angesehenen Kaufmannsfamilie. Seit fast einem Jahrhundert bestand das Rohseidengeschäft Brand & Co. in Ehren auf dem Wiener Platze. Es hatte seine Begründer und ihre nächsten Nachfolger reich gemacht und trotz der Ungunst der Verhältnisse in den letzten Decennien keinen Rückgang erfahren. Diesen Erfolg verdankte das Haus der Tüchtigkeit seines Chefs, und Niemand zweifelte, daß sein willensstarker und energischer Sohn sein Nachfolger werden würde. Durch lange Zeit blieb das streng, sogar vor einander bewahrte Geheimniß seiner Eltern: Dietrich zeigt zum Kaufmannsstande wenig Lust und Talent.Trotzdem war es ein Tag des Entsetzens für sie, als er kam und ihnen seinen unerschütterlichen Entschluß kund that, nichts anderes zu werden, als wozu er sich im Innersten berufen fühlte, Soldat.Warum Soldat, um Gotteswillen? Warum nicht Beamter oder Landwirth, wenn schon durchaus nicht Kaufmann? ¿ Ja, weil er dazu beitragen wollte, die außer Rand und Band gerathenen Menschen wieder an Zucht zu gewöhnen. Weil er erziehen wollte, wie er von klein auf gethan. Das mußten die Eltern gelten lassen. An dem Hunde und Papagei seiner Mutter, an den Tauben und Spatzen, die er mit Weißbrotkrumen auf den Fenstersims lockte, an Allen hatte er ¿ und mit Glück ¿ erzogen. Im Sommer, wenn die Familie in ihrer Villa in Neuwaldegg Aufenthalt nahm, kamen die Kinder dran. Da war er immer von einem Trupp umgeben, den er commandirte und der ihm gehorchte, weil es sich von selbst versteht, daß man dem Dietrich Brand gehorcht.Dem Vater wollte das Befehlshaberische im Wesen seines Sohnes nicht gefallen: »Aus Dir wird einmal ein Schulmeister,« sprach er zu ihm.»Nicht ein Schulmeister, ein General,« antwortete Dietrich.
Ich habe, als ich vor einigen Monaten von meiner Indienreise zurückkehrte, in einer ganzen Reihe deutscher Städte Vorträge gehalten. Mit Lichtbildern natürlich ¿ ohne die geht's ja nicht mehr. Ich sagte zu Beginn meines Vortrages ¿ es war immer derselbe, und er hing mir bald genug zum Halse heraus ¿ den verehrten Damen und Herren, daß ich durchaus nicht deshalb mich auf das Podium stelle, weil ich mich so gerne reden höre, auch nicht deshalb, weil ich der Ansicht sei, nun endlich den mystisch-magischen Schleier, der über dem Wunderlande Indien liege, lüften zu können. Sondern daß ich das nur aus dem recht prosaischen Grunde tue, weil mir dieses Geplauder Geld eintrage ... Dann lachten die Leute. Sie hielten das für einen guten Witz. Wenn sie nur wüßten, wie bitter ernst es mir war! Ich benutzte eben, recht kaufmännisch und gemein, die günstige Kombination, daß gerade der deutsche Kronprinz auch in Indien herumreiste, und daß also Indien »aktuell« war. Oder vielmehr: die Konzertdirektion, die mich für meine Vortragsreise engagierte, benutzte diese Aktualität ¿ ich selbst kann nicht einmal dieses Verdienst für mich in Anspruch nehmen. Ich tat eigentlich nichts ¿ als für das Geld, das ich bekam, mich ein paar Wochen lang Abend für Abend zu prostituieren. Mein Herr Konzertdirektor, Gott segne ihn, war damit recht zufrieden, weil es ihm Geld einbrachte, und mein Herr Verleger, Gott schütze ihn gleichfalls, war nicht minder zufrieden, weil ja doch diese Vortragsreise notwendigerweise auch für meine Bücher ein wenig Reklame machen mußte.
Ich überreiche hier dem hochgeneigten Leser doch sage ich das nicht etwa, um mich zu rühmen ein äußerst interessantes Werk. Ohne die Wahrheit und Bescheidenheit zu verleugnen, von welchen die ältern und neuern Reisebeschreiber und alle statistischen und politischen Schriftsteller sich so ungern zu entfernen pflegen, kann ich mit Recht behaupten, es werde Ihnen ein solches Buch noch gar nicht vorgekommen sein. Sie finden darin nicht etwa Beschreibungen von längst und oft beschriebnen Städten und Gegenden; nicht etwa unterwegens in Wirtshäusern und andern unbedeutenden Gesellschaften aufgesammelte Anekdoten; nicht etwa ärgerliche Nachrichten und falsche Schilderungen von der sittlichen und politischen Verfassung gewisser Städte und Länder, in dem Umgange mit unzufriednen, unruhigen Köpfen aufgeschnappt und ohne weitre Untersuchung nacherzählt; nicht etwa einseitige Urteile über Menschen und Weltbegebenheiten, nach gewissen Lieblingsideen und herrschenden Vorurteilen gemodelt oder mit den freien Mahlzeiten in Verhältnis gesetzt, die dem Reisebeschreiber in besagten Städten sind gereicht worden; noch verliebte Abenteuer, kleine bunte Bilderchen von empfindsamen Szenen, und was dergleichen Materialien mehr sind, woraus unsre lieben Landsleute und Nachbarn ihre Reisebeschreibungen zusammensetzen: nein! ich liefre Ihnen die Beschreibung eines großen, wichtigen, bis jetzt fast gänzlich unbekannt gewesenen Reichs in Afrika, von welchem diejenigen, die bis auf den heutigen Tag darüber geschrieben (wie Sie aus meiner so glaubwürdigen Erzählung sehen werden), ganz falsche Nachrichten gegeben haben; zugleich aber auch enthält mein Buch die Erzählung einer höchst merkwürdigen Revolution, welche in diesem Reiche, durch mich und meinen Herrn Vetter, den jetzigen Herrn Notarius Wurmbrand in Bopfingen, ist bewirkt worden.
LARENOPFER IM ALTEN HAUSEIm alten Hause; vor mir frei seh ich ganz Prag in weiter Runde; tief unten geht die Dämmerstunde mit lautlos leisem Schritt vorbei.Die Stadt verschwimmt wie hinter Glas. Nur hoch, wie ein behelmter Hüne, ragt klar vor mir die grünspangrüne Turmkuppel von Sankt Nikolas.Schon blinzelt da und dort ein Licht fern auf im schwülen Stadtgebrause.¿ Mir ist, daß in dem alten Hause jetzt eine Stimme "Amen" spricht.AUF DER KLEINSEITEAlte Häuser, steilgegiebelt, hohe Türme voll Gebimmel,¿ in die engen Höfe liebelt nur ein winzig Stückchen Himmel.Und auf jedem Treppenpflocke müde lächelnd¿Amoretten; hoch am Dache um barocke Vasen rieseln Rosenketten.Spinnverwoben ist die Pforte dort. Verstohlen liest die Sonne die geheimnisvollen Worte unter einer Steinmadonne.
Tief unten durchs Ötztal zog ein fremder Wanderer. Oben in Adlershöhe über ihm am schwindelnden Abhang stand eine Mädchengestalt, von der Tiefe heraufgesehen nicht größer als eine Alpenrose, aber doch scharf sich abzeichnend vom lichtblauen Himmel und den leuchtenden Eisspitzen der Ferner. Fest und ruhig stand sie da, wie auch der Höhenwind an ihr riß und zerrte, und schaute nieder schwindellos in die Tiefe, wo die Ache brausend durch die Schlucht stürzte und ein schräger Sonnenstrahl in ihrem feinen Sprühregen schimmernde Prismen an die Felswand malte. Auch sie sah winzig klein den Wanderer und seinen Führer dahinziehen über den schmalen Steg, der in Turmeshöhe über die Ache führte und von da oben einem Strohhalm glich. Sie hörte nicht, was die beiden sprachen, denn aus der Tiefe drang kein Laut herauf als das donnernde Brausen des Wassers. Sie wurde nicht gewahr, daß der Führer, ein schmucker Gemsjäger, drohend den Arm erhob, zu ihr hinauf deutete und zu dem Fremden sagte: »Das is g'wiß die Geier-Wally, die dort oben steht, denn auf den schmalen Vorsprung, so nah an n' Abgrund, traut sich kei andres Madel; schauen's, ma meint, der Wind müßt' sie 'runterwehen, aber die tut immer's Gegenteil von dem, was jeder vernünftige Christenmensch tut.«
Der Schmied stand mit weitgespreizten Beinen da, hielt ein funkensprühendes Stück Eisen mit der Feuerzange auf dem Amboß fest und hämmerte darauf los, daß es hallte. ¿ Sein weißblondes, wirres Haar fiel ihm bei jedem Schlag schwer in die Stirne, und sein Schatten tanzte wunderlich über die rußige Wand.Ein kaum sechzehnjähriger Knabe saß beim Herd und hielt die Hände gegen die durchscheinende Flamme. ¿ »Euer Gnaden« nannten ihn die Bauern und »allergnädigster Herr«, denn er war der Erbe des Schlosses am Berg, des Waldes und der Felder ringsum. Aber der betrunkene Hofmeister nannte ihn »Nichtstuer« und »Hundesohn« und sperrte den Knaben ein, wenn er sich im Katzenjammer der eigenen versäumten Pflichten bewußt ward und der Zögling eine jählings eingeleitete Prüfung nicht bestanden hatte.
Als Elsalill Jeß ein ganz kleines Mädchen war, hatte sie ein sonderbares Erlebnis. Jemand kam mitten in der Nacht und nahm ihr das Herz heraus. Er machte es auf wie die kleine goldene Kapsel, die sie um den Hals trug, und setzte ihr einen Cherub hinein. Wer das tat, konnte sie nicht sehen. Sie fühlte nur eine große, gute Hand.Am nächsten Tage saß Näh-Tine bei Deichgraf Jeß in der Kinderstube und flickte. »Ist in deinem Herzen ein Cherub?« fragte Elsalill.»Chotte dochen, das Kind!« Näh-Tine, die sehr klein war, hüpfte hoch auf ihrem Kinderstühlchen. Sie faßte an die oberste ihrer drei Mützen, die sie immer aufhatte seit der Sache mit der Fledermaus. Nein, von einem Cherub im Herzen hatte sie niemals gehört.Da wußte Elsalill, daß sie etwas ganz Besonderes hatte. Sie sagte zu niemanden ein Wort darüber.Der Cherub in ihrem Herzen war in seine Flügel eingeschlagen wie ein Schmetterling, den sie im Frühling aus der kleinen, glänzenden Puppe herauskriechen sah. Wenn er die unteren Flügel entfaltete, schien es Elsalill, als ob sie zu ihren Schultern herauswüchsen. Dann lief sie so schnell, als flöge sie in ihre Heimat. Die oberen hatte er noch nie entfaltet. Manchmal zitterten sie, dann wuchs Elsalills Herz, daß es ihr fast weh tat. Sie mußte die Hand darauf drücken. Wenn Frau Jeß ihre kleine Tochter dann gerade ansah, gab sie ihr jedesmal einen Kuß.
Das Theaterstück in drei Akten handelt von dem Besuch des Bürgermeisters Friedrich Rehbein des fiktiven Ortes Dornstein beim zuständigen Minister in München. Grund ist die geplante Trassenführung der neu zu bauenden Lokalbahn und der dafür benötigte Bahnhof in Dornstein. Die geplante Trassenführung und der geplante Bauort des Bahnhofes weit außerhalb des Ortes werden kritisiert. Der Garten des Brauereibesitzers Schweigel, ebenfalls zugleich Gemeindebevollmächtigter, wird durch die Bahntrasse zerschnitten.Der Bürgermeister behauptet nach seiner Rückkehr von der Audienz beim Minister einigen Bürgern, manche zugleich Gemeindebevollmächtigte, und dem anwesenden Zeitungsredakteur Heitzinger gegenüber, dem Minister ordentlich die Meinung gesagt zu haben, und wird dafür zuerst belobigt und am Abend des Tages durch Lobbekundungen und ein Standkonzert der Liedertafel geehrt.Der Zeitungsredakteur Heitzinger berichtet hierüber am nächsten Tag etwas übertrieben und im Nachgang bekommen die Bürger und manche Gemeindebevollmächtigten Furcht davor, bei den staatlichen Organen in Misskredit zu fallen. Ebenfalls der auserwählte Wunschschwiegersohn Dr. Behringer, Amtsrichter und damit Beamter, zieht sich von der Familie des Bürgermeisters daraufhin zurück.
Endlich, nach langer, heißstaubiger Fahrt hielt die Postkutsche, und mit den rauh betonten Worten: »Hier geht's nach Schloß Rankholm ¿« öffnete der Schwager den Wagenschlag und bedeutete einem darin sitzenden Herrn, daß er ansteigen müsse. Und während dieser, ein junger, vornehm ansehender Mann seiner Aufforderung folgte, wandte sich derselbe Postillon zu dem Gepäckkasten, riß des Reisenden Koffer heraus, stieß ihn unsanft auf den Erdboden und ließ ihn dort liegen. Und als der Fahrgast, Graf Axel Dehn, ein Wort über Wegrichtung und Weiterbeförderung seines Gepäcks hinwarf, setzte er statt zu antworten, die Finger an den Mund und ließ in der Richtung eines von Knicken eingefaßten Seitenweges dreimal hintereinander einen scharfschrillen Pfiff ertönen. Alsbald erschien ein alter, gebückt gehender Mann oben an der Biegung des Pfades, erhob mit phlegmatischer Bewegung die Hand zum Zeichen, daß er gehört habe, und näherte sich mit derselben Gemächlichkeit dem seiner Wartenden.
Frau Käte lag in einem Morgenkleid aus rosafarbenem Chinakrepp auf der Veranda ihrer Tiergartenvilla und las. Vor der Chaiselongue stand ein kleiner runder Tisch, auf dessen mattgrau seidenem Perser eine lila Schachtel mit Zigaretten lag. Zwischen Tisch und Chaiselongue saß Lori, die deutsche Schäferhündin aus dem Stamm Tuaillons, spitzte die Ohren und ließ kein Auge von der Tür, die in den Garten führte. Plötzlich sprang Lori auf, öffnete sich die Tür und stürzte die kleine Treppe hinunter in den Garten. Käte sah von ihrem Buch auf und lächelte, als sie im Kies die Tritte ihres Mannes hörte. Sie setzte sich auf und rief freudig:»Hallo!«»Liebling!« klang es zurück. Die Schritte wurden lauter und schneller. Lori kläffte vor Freude hell auf; und wenige Augenblicke später stand Paul vor seiner Frau. Er küßte ihr erst die Hand, die sie ihm entgegenstreckte, beugte sich dann über sie und schloß sie in die Arme.
O Ritter, toter Ritter, Leg' deine Lanze ein! Sie soll in tausend Splitter Von mir zertrümmert sein. Heran auf deinem Rappen, Du bist ein arger Schalk, Trotz Knappen und trotz Wappen, Trotz Falk und Katafalk! Ich steh' nicht bei dem Trosse, Der räuchernd vor dir schweigt, Weil du ein Herz für Rosse Und fürs Kamel gezeigt; Baschkire oder Mandschu Was schiert mich deine Welt? Ich schleudre meinen Handschuh Dir in dein ödes Zelt. Dem Reich der Mamelucken Weissagst du Auferstehn, Und sähest ohne Zucken Dein Vaterland vergehn; Doch wiegtest unter Palmen Du dein Prophetenhaupt, Wenn nicht aus unsern Halmen Du erst dein Gold geraubt? Du steuerst nun so lange Im Weltmeer aus und ein, Und ward es nie dir bange, Daß du so klein, so klein? Ist er dir nie erschienen, Der Fürst von Ithaka, Wenn deine Sündermienen In seinem Reich er sah?
Das Geheimnis ist der Liebling der Geschichte. Dunkles Geschehen, rätselhafte Menschen sind immer wieder Gegenstand historischer Betrachtung, poetischer Gestaltung. Caspar Hauser, Demetrius, Heinrich von Plauen, der falsche Waldemar ¿ und wie sie alle heißen mögen, die Geheimnisvollen. Doch in dem wohlbestellten Felde klafft noch Brachland; denn jede Galerie der Seltsamkeiten weist eine bemerkenswerte Lücke. Ich meine jenen Mann, den alte Chroniken »den Frömbden von Ansbach« nennen. Soviel ich weiß, sind es drei Quellen, die ihn erwähnen: eine »Relation aller Fürnemen vnd gedenckwürdigen Historien / so sich hin vnd wieder in Hoch- vnd Nieder-Teutschland verlauffen vnd zugetragen«, also eine Zeitung aus Köln; die Chronik des Stadtschreibers von Ansbach und eine Handschrift des Klosters Oldisleben. Sie alle drei berichten übereinstimmend: Am andern Montag nach Peter und Paul das war am 9. Juli des Jahres 1632, erschien plötzlich in dem Hause eines Ratsherrn von Ansbach ein Mann, den niemand zuvor eintreten, den überhaupt niemand weit und breit je zuvor gesehen hatte. Seine Tracht war völlig unbekannt, nicht nur in Deutschland sondern auch in fremden Ländern. Die Sprache, die er redete, glich sie auch der deutschen, klang fremd und war zum großen Teile unverständlich. Der Mann behauptete, er stamme aus dem neunzehnten Jahrhundert, habe in dieser Zeit gelebt bis zum Jahre 1906 und sei nun rückversetzt worden. Des Dreißigjährigen Krieges Dauer und Ausgang und alle großen Weltbegebenheiten sagte er aufs genaueste voraus. Auch baute er Maschinen, die mächtige Wunder wirkten. Rätselhaft wie sein Erscheinen war sein Ende und grauenvoll.
Man sagt, daß Steine nicht reden können. Blumen stumm sind. Baum und Sträucher nichts sagen. Ich glaube das nicht. Wer sommertags vom Staub der Landstraße durch das schmiedeiserne Gitter auf die weiten Rasenflächen sah, wo ich meine ersten Tage vertummelte, mußte denken, daß man es hier gut hatte. Hier im grünen Schatten kühlatmender Stille. Schmale Wege durchschnitten den samtnen Grasteppich. Jeden Morgen frisch geharkt, befreit von jedem spitzen Stein. Umrahmt von Blumen und Gesträuch. Die nicht der wehende Wind aus Laune oder Zufall dorthin gebracht. Sie waren von Rang und hohem Geblüt. Trugen ihre Visitenkarte im Knopfloch ihres Blütenrocks. Mit Unbekannten verkehrte man hier nicht. Alle diese Wege, einen Stern in den Erdboden schneidend, führten zu einem weißen Haus. Mondkühl silberte es aus dunklem Grün. Am heißen Mittag wie vor Sonnenaufgang. Seine Schattenseite umrankten Rosen. Neben dem großen Portal standen blühende Oleander in Reih und Glied wie Soldaten. Vorübergehende nannten dies Haus: Die Schachtel der Geborgenheit. Wer es nicht wußte, konnte von einem kleinen Kupferschild ablesen, daß hier Senator Eberhaus wohnte. Ein andres Schild gab kund, daß man hier Mitglied des Armenvereins war. Es ersuchte Bettler, sich nicht unnütz zu bemühen und warnte vor den Hunden. Diese Hunde waren meine Mutter und ich. Meine Mutter hieß Lonni. Sie stammte aus dem Geschlecht der Dobermann. Ihr Stammbaum hing eingerahmt im Jagdzimmer des Herrn Senators. Es gab niemanden in ihrer Familie, der nicht öffentliche Auszeichnungen aufzuweisen hatte. Auch meine Mutter selbst trug mehrere Med
Na, jetzt sag mir nur um Gotteswillen, wo willst du eigentlich hin, Hellwig?«»Direkt nach X., wenn du erlaubst!« klang es halb trotzig, halb spöttisch zurück.»Aber dahin geht es doch in seinem ganzen Leben nicht über eine Anhöhe! ... Du bist nicht gescheit, Hellwig ... Heda, ich will aussteigen! Ich habe durchaus keine Lust, mich umwerfen zu lassen und meine heilen Knochen einzubüßen wirst du wohl halten?«»Umwerfen? Ich? ... I, das wäre doch das erste Mal in meinem Leben« wollte er vermutlich sagen, aber ein entsetzlicher Krach erfolgte, und mit demselben verstummten die Lippen des Sprechenden wie die eines Toten. Das Schnauben und Stampfen eines Pferdes wurde für einen Augenblick hörbar; dann stand das Tier auf seinen vier Hufen und jagte wie rasend querfeldein.»Na, da haben wir die Bescherung!« brummte endlich der erste Sprecher, indem er sich auf dem nassen, frisch gepflügten Ackerfelde aufsetzte. »He, Hellwig, Böhm, seid ihr noch am Leben?«»Ja,« rief Hellwig nicht weit von ihm und tastete suchend auf den triefenden Erdschollen nach seiner Perücke. Alles Selbstvertrauen, aller Spott waren wie weggeblasen von dieser schwachen Stimme. Auch das dritte Opfer versuchte es zunächst mit einer Bewegung auf allen vieren, wobei es entsetzlich fluchte und stöhnte; denn seine gewaltige Korpulenz fühlte sich unwiderstehlich zur Mutter Erde hingezogen. Endlich war die edle Stellung, die den Menschen als die bevorzugteste Kreatur in Gottes weiter Schöpfung kennzeichnet, wiedergewonnen; die drei Gefallenen standen auf ihren Füßen und besannen sich, was eigentlich geschehen sei, und was nun geschehen müsse.
Ruft das dichterische Werk des Lebenden nach einleitendem Wort und selbstbiographischen Daten? Hat nicht seine eigentliche Existenz ihren annähernd wesensgemäßen Ausdruck gerade in den mannigfaltigen Versschöpfungen vieler Jahre gefunden, aus deren geschlossener Gliederung die folgenden Bände sich wie von selbst zu einem rhythmischen Bilde seiner Natur und seines Werdeganges gestalteten? Ganz gewiß, für Aufnahme und Wirkung dieser meiner, im engeren und weiteren Sinne, lyrischen Lebensbekenntnisse wäre kaum erforderlich, eine Skizze der äußeren Vorgänge und Umstände voranzuschicken, in denen sich von der Geburt bis zum gegenwärtigen Tage mein Dasein auch sonst bezeugt und abgespielt hat. Was einmal irgendwie Kunst ward, trägt ja immer den Führer in sich, der auf jede Frage die feinste und gültigste Antwort gibt.Wenn ich beim Überblicken meiner bisherigen dichterischen Ernte, wie sie in der Scheuer dieser Ausgabe geborgen ward, mich gleichwohl veranlaßt fühle, hier in aller Kürze die Kurve meines Lebens nochmals zu zeichnen, so geschieht das vor allem im Hinblick auf einige, wie ich glaube, besonders bedeutsame Momente, die sich in der Laufbahn eines deutschen Dichters meiner Art und in der Geschichte seines Werkes als charakteristisch für unsere Zeit und für mich selbst offenbaren.
Ihr seid es auch. Hier soll der S c h a k a l hausen, nicht der Mensch; Hier, wo Palmyra wie ein grünes Pünktlein Im gelben Sandmeer liegt, die Berge kahl Und öd sind wie der ewig leere Himmel. Zeig mir doch Schönes, mein Apelles, sag' ich, Ein Stückchen Paradies; hier sterb' ich sonst! Was thut er? In die Bergschlucht führt er mich, Wo wie versteinte Riesen, plump und düster, Die Gräbertürme stehn; die Totenstadt Der Palmyrener! Das ist euer Schönstes, Die Weide eurer Augen! O mein Rom! O Bajae! O ich Närrin!
Hans Huckebein der Unglücksrabe ist eine Bildergeschichte von Wilhelm Busch. Erstmals veröffentlicht wurde sie in den Blättern: Über Land und Meer, Stuttgart, Eduard Hallberger, X. Jahrgang (Oktober 1867¿September 1868), 1/13, 3/45, 5/77, 8/125. Ähnlich wie auch bei anderen Tiergeschichten, wie z. B. der von Plisch und Plum oder Fipps, der Affe, spielt Busch auch hier gekonnt mit der Schadenfreude seiner Leserschaft, sowie der Lust an der Heimtücke.
Wenn Bruder Leichtfuß gar zu arg gehaust hat, und geplagte Familiengeduld reißt, so verfällt man in deutschen Landen häufig auf den bewunderungswürdig energischen und einfachen Ausweg: das schwarze Schaf der Familie nach Amerika zu schicken; nach den Vereinigten Staaten, in denen es so schöne Gelegenheiten zu segensreicher Arbeit gibt, und die so hübsch weit weg sind, daß eine respektable Entfernung die arme Familie schützt. Jeder Hapagdampfer, jedes Lloydzwischendeck trägt alljährlich Hunderte dieser Art von Menschenkindern über das große Wasser, deren Sündenregister von fast monotoner Gleichförmigkeit ist: Leichtsinnsstreiche und Schulden!Das schwarze Schaf ist im Yankeeland. Und nun fängt der Humor an; ein grimmiger Humor voll grotesken Lachens und bitteren Weinens; eine moralische Komödie mit den schönsten tragischen Möglichkeiten. Das neue Land nimmt Bruder Leichtfuß ¿ den verdorbenen Gymnasiasten, den leichtsinnigen Studenten, den verschuldeten jungen Leutnant oder was er sonst gewesen sein mag ¿ liebevoll in seine Arme, verschluckt mit unbeschreiblicher Schnelligkeit die goldenen Pfennige der Heimat und spielt dann Fangball mit ihm. Hop ¿ auf und nieder. Hop ¿ arbeiten oder hungern. Hop ¿ ihm die Nase auf den Boden gedrückt, wie man's mit einem Kätzchen macht. Hop ¿ ihn zu Boden geworfen, daß alle Knochen krachen. Hop, hop, hop ¿ ihn geschüttelt und zerzaust und geschunden! Da schnappt Bruder Leichtfuß nach Luft, ist furchtbar verwundert, fühlt sich merkwürdig elend und erkennt langsam aber sicher die primitiven Wahrheiten des Lebens von Geld und Hunger und Arbeit und Liebe, ¿ wenn er nicht schon längst vorher elend zugrunde ging.
Die Sonne zeigt, vollendend gleich dem Helden, Dem tiefen Tal ihr Abendangesicht, (Für andre, ach! glückselgre Welten Ist das ein Morgenangesicht), Sie sinkt herab vom blauen Himmel, Ruft die Geschäftigkeit zur Ruh, Ihr Abschied stillt das Weltgetümmel Und winkt dem Tag sein Ende zu. Jetzt schwillt des Dichters Geist zu göttlichen Gesängen, Laß strömen sie, o Herr, aus höherem Gefühl, Laß die Begeisterung die kühnen Flügel schwingen, Zu dir, zu dir, des hohen Fluges Ziel, Mich über Sphären himmelan gehoben, Getragen sein vom herrlichen Gefühl, Den Abend und des Abends Schöpfer loben, Durchströmt vom paradiesischen Gefühl. Für Könige, für Große ists geringe, Die Niederen besucht es nur ¿ O Gott, du gabest mir Natur, Teil Welten unter sie ¿ nur, Vater, mir Gesänge. Ha! wie die müden Abschiedsstrahlen Das wallende Gewölk bemalen, Wie dort die Abendwolken sich Im Schoß der Silberwellen baden; O Anblick, wie entzückst du mich! Gold, wie das Gelb gereifter Saaten, Gold liegt um alle Hügel her, Vergöldet sind der Eichen Wipfel, Vergöldet sind der Berge Gipfel, Das Tal beschwimmt ein Feuermeer; Der hohe Stern des Abends strahlet Aus Wolken, welche um ihn glühn, Wie der Rubin am falben Haar, das wallet Ums Angesicht der Königin.
Die winzige Grenzfestung, als solche im letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts eingegangen, lag im Westen Deutschlands. Sie war so klein, daß man von einem Tor durchs gegenüberliegende sehen konnte. Sie hatte davon vier, genau nach der Windrose. In der Mitte sonnte sich der große viereckige Markt- und Alarmplatz. Um diesen herum lagen die einzigen Häuser des Städtchens. Weshalb eigentlich hier die Feste gebaut war, konnte niemand ergründen. Weder war ein Flußübergang, noch ein Felsenpaß zu verteidigen. Weder bot sie Platz für geräumige Speicher, für Vorräte, für bereitliegende Waffen, für Kriegsbedarf, noch konnte sie aus Raummangel geschlagenen und zerstreuten Truppen als Zufluchtsort und Schlupfwinkel dienen.
An den Ufern der Havel lebte, um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts, ein Roßhändler, namens Michael Kohlhaas, Sohn eines Schulmeisters, einer der rechtschaffensten zugleich und entsetzlichsten Menschen seiner Zeit. Dieser außerordentliche Mann würde, bis in sein dreißigstes Jahr für das Muster eines guten Staatsbürgers haben gelten können. Er besaß in einem Dorfe, das noch von ihm den Namen führt, einen Meierhof, auf welchem er sich durch sein Gewerbe ruhig ernährte; die Kinder, die ihm sein Weib schenkte, erzog er, in der Furcht Gottes, zur Arbeitsamkeit und Treue; nicht einer war unter seinen Nachbarn, der sich nicht seiner Wohltätigkeit, oder seiner Gerechtigkeit erfreut hätte; kurz, die Welt würde sein Andenken haben segnen müssen, wenn er in einer Tugend nicht ausgeschweift hätte. Das Rechtgefühl aber machte ihn zum Räuber und Mörder.
Der Königliche Postdampfer »Hildebrand« der Booth Line, Liverpool, fuhr am Vormittag des 30. Juli 1924 in die Mündung des ungeheuren Stromes ein; an diesem Vormittag spielten selbst die harmlosesten jungen Passagiere keine Partie Deckgolf. Es gab Leute an Bord, die in der letzten Nacht vor freudiger Erwartung nicht hatten schlafen können und die mit dem allerersten Morgengrauen im Schlafanzug auf Deck gekommen waren, um den Piloten der Station Salinas an Bord kommen zu sehen; das fremdartig romantische Segel seines Bootes, tiefrot, dreieckig und an der Hypotenuse halbmondförmig gehöhlt, hatte sie aufgeregt und beglückt. Ein älterer Deutscher aus der Tschechoslowakei, Dr. Schwarz, war einer von diesen Frühaufstehern oder Nichtschläfern gewesen, dann der englische Arzt Carson, der französische Gymnasiast René und sonderbarerweise auch Lord Athill, der frühere britische Minister; Lord Athill mußte durch die plötzlich verstärkte Hitze oder durch einen Anfall seines Leidens am Schlaf gehindert worden sein, denn niemand mutete seinem matten Wesen jene Kraft der Sehnsucht zu, die die anderen an diesem Morgen der Ankunft und Erfüllung nicht hatte ruhen lassen. Jetzt freilich waren auch die Stumpfen und Blasierten unter den Passagieren auf Deck, mit gewichtigen Feldstechern oder langen Guckrohren bewehrt; es gab viel und Herrliches zu sehen.
Vorwort.Wie im ersten Teil bemerke ich auch hier: Diese Sagen und Märchen sind nicht nur Tausende von Jahren alt, sie sind auch im Laufe vieler Jahrhunderte, vielleicht Jahrtausende, entstanden, lange Zeit nur mündlich überliefert und auch nach der Niederschrift noch durch Jahrhunderte hindurch geändert, erweitert, den Sitten und Gebräuchen der Zeit, sowie dem Geschmack der jeweiligen Dichter angepaßt worden. So erklärt sich mancher Widerspruch in der Auffassung und Verehrung von Göttern und Helden, in Landesbräuchen usw. Zu merken wäre, daß die ältesten Inder ein sehr kriegerisches Volk waren und leibhaftige Naturkräfte als Gottheiten verehrten (Indra, Varuna, Agni usw.). Später aber riß der Priesterstand die Herrschaft an sich, die Naturgötter mußten sich den erdachten Repräsentanten der sittlichen Ordnung (Brahma, Wischnu, Dharma usw.) und Könige, Krieger und Volk ihren Priestern, den Brahmanen, beugen. Mit dem der Allgemeinheit geläufigen Buchstabenmaterial ist es nicht möglich, ein vollkommen klangtreues Lautbild der altindischen Namen und Worte zu geben. Ich habe mich deshalb mit einer Annäherung begnügt und möchte nur noch bemerken, daß bei der von mir gewählten Schreibweise das Sch, sch im Anlaut weich gesprochen wird. Die letzte Silbe der Frauennamen ist lang. Im Anhang habe ich ein alphabetisches Namensverzeichnis angefügt, welches manchen durch die vielen Namen vielleicht verwirrten Leser rasch über die Beziehung einzelner Personen zur Erzählung orientieren mag.
In einer der Hauptstraßen von Hellburg stand noch vor gar nicht so langen Jahren ein steinernes, uraltes Gebäude aus früherer Zeit ¿ wie Viele sogar behaupteten, das älteste Gebäude der Stadt ¿ mit wunderlich geschnitzten Giebeln und Gewänden, künstlich gespannten Fenster- und Thürbogen und großen eisernen drachen- und lindwurmköpfigen Dachrinnen, die der Zeit, wie allen die Straßen auf- oder abwehenden Stürmen die langen, grimmig ausgeschnittenen Zähne gezeigt hatten, und bei heftigen Regengüssen, zum Aerger der Vorübergehenden, ganze Ströme Wassers in die Mitte der Straße sprudelten. Ueber der Thür waren zwei sonderbare Gestalten in Stein ausgehauen, die einen Türken und einen Christen vorstellten, und auch zwischen den Fenstern hatte der Baumeister, dessen Urenkel mit zu den Ahnen der jetzigen Generation gehörten, manche behelmte und bewehrte Gestalt angebracht. Nirgends aber fand sich ein Heiligenbild, nirgends ein Engelsköpfchen, das sonst mit seinen dicken Bäckchen trostbringend aus manchen Verzierungen anderer, fast eben so alter Gebäude herausbläst. Kein frommer Märtyrer mit zerrissenen Gliedern und rundem Heiligenscheine war in der ganzen Masse von Schnitzwerk zu finden; kein frommes Sprüchlein, kein Vers, kein Kreuz angebracht, selbst nicht aus dem Schilde des Ritters über der Thür.
Aus tiefdunklem Jugendschlummer fuhr Hans Thumser mit einem Ruck in die Höhe. Teufel auch! das nenn' ich dachsen! Und diese Pestbeule von einem Korpsdiener hatte mich doch wecken wollen? Wieviel mag's denn sein? Uhr steht natürlich ¿ Skandal! schon wieder mal das Aufziehen verbummelt! Und schon ganz hell! Jeden Augenblick muß der Wagen kommen mit Pilgram, dem gestrengen Senior, der so verdammt ungemütlich werden kann ... und mit Durchlaucht, dem fürstlichen Konkneipanten eines wohllöblichen C.¿C. der Franconia ... und dann warten lassen?! Herrgottsakra ¿ rin' in die Buchsen ¿!
Ilse und Leo saßen lustig plaudernd auf der Veranda vor dem Macketschen Hause. Der warme Mittagssonnenschein eines heiteren Oktobertages stahl sich durch das dichte Blättergewirr des herbstlich gefärbten Weinlaubes zu ihnen herein.Leo Gontrau erzählte soeben von seinem Leben in der kleinen Stadt, in welcher er als Assessor angestellt war, und nach der er Ilse im kommenden Frühjahr als seine Frau heimführen wollte. Sie unterhielt sich köstlich über seine ebenso drastischen wie komischen Erzählungen und sah im Geiste die geschilderten Personen leibhaftig vor sich. Natürlich war sie schon jetzt der Gegenstand des lebhaftesten Interesses in dem kleinen Ort und Leo konnte nicht genug berichten, wie neugierig man sich nach ihr erkundigte.¿Und mit all den langweiligen Tanten soll ich verkehren?¿ rief sie endlich, ¿mit ihnen Kaffee trinken, klatschen, womöglich grauwollene Strümpfe dabei stricken?¿ Sie warf sich in den Stuhl zurück und brach in ein unbändiges Gelächter aus.¿Na ¿ es wird so schlimm nicht werden, Kind, und mir zuliebe mußt du es eben auch mal über das Herz bringen, mit alten Tanten Kaffee zu trinken.¿ Das heitere Lächeln verschwand von ihrem Gesicht, und sie sah ihn erstaunt an.¿Du meinst doch nicht im Ernst, Leo, daß ich mit allen diesen Damen verkehren muß?¿¿Ja, Schatz,¿ gab er ihr zur Antwort, ¿das müssen wir, ich bin Beamter und habe Rücksichten zu nehmen, das ist nun einmal nicht anders und da wird sich denn meine kleine Frau auch fügen müssen.¿¿Fügen,¿ rief sie sich aufrichtend, ¿nein, Leo, fügen werde ich mich nicht, besonders nicht, diese Besuche zu machen.¿
Daß sein Erscheinen in der kleinen Stadt Aufsehen erregen würde, das hatte sich der Hans Stampfl wohl gedacht. Zu welchem Aufruhr es aber führen würde, das hatte er sich doch nicht vorstellen können.Er hatte nie viel bedeutet im Städtchen, der Stampfl Hans. Man wußte, daß er alles, was er gelernt hatte, und alles, was er war, seinem Paten verdankte, dem angesehenen Apotheker Ignaz Marsoner. Als fünftes Rad am Wagen war er im Hause aufgewachsen, halb Diener, halb Verwandter.Der Apotheker hatte sich nie darüber geäußert, in welchem Verwandtschaftsgrad der Hans eigentlich zu ihm stand. Wenn man den Herrn Marsoner darum frug, winkte er halb gnädig, halb ärgerlich ab und meinte in sehr vornehmem Ton: »Von der hundertsten Suppen ein Schnittlauch! Ich weiß selber nicht, wie ich zu der Verwandtschaft komm'.«Die starke Betonung des »der« hatte etwas unsagbar Herablassendes in dem Munde des Herrn Marsoner. Und es trug auch dazu bei, daß man sich im Städtchen daran gewöhnte, den Stampfl Hans mit einer Art nachsichtigen Mitleides zu behandeln.Der Stampfl Hans, wie man ihn allgemein nannte, war auch in seiner äußeren Erscheinung gar nicht anziehend oder schneidig. Ein schüchterner semmelblonder Jüngling, der wie ein junges Mädchen leicht zu erröten pflegte und dann in seiner Verlegenheit zu stottern begann.
Wenn in unsern Tagen ein junger Mann sein Studium oder sein Handwerk gelernt hat, wenn er auch seine Wartezeit hinter sich hat, wenn er draußen gewesen ist in der Welt mit dem Reisebündel auf dem Rücken, und er kehrt zur lieben Heimath wieder, wer will's ihm verargen, daß er dann nach dem Plätzchen sich umsieht, wo er sein Haus bauen und sein Geschäft treiben, und manchen stillen Herzenswunsch befriedigen kann? Und unsere Zeit ist eine gütige Mutter, für alle Wünsche ihrer Kinder hat sie auch die Erfüllung; sie weiß Mittel und Rath, und wer es anders nur klug angreift, der findet auch Haus und Brod. Ueberall wächst die Bevölkerung, aber mit ihr auch die Klugheit, der Erde ihr Gewächs abzugewinnen, daß es den Tausenden nicht an Brod fehle, und überall auch der Kunstfleiß, der Neues schaffet und das Alte verbessert. Hätten wir vor hundert Jahren gelebt und könnten einmal wieder unsere alte Heimath besuchen; sähen wir da die Länder mit Straßen durchzogen, die wüsten Stellen in fruchtbare Aecker umgewandelt, die Sümpfe ausgetrocknet und die Eisenbahnen im Flug die Menschen zu einander führen; sähen wir in Städten und Dörfern das Volk sich wie in einem Ameisenhaufen durcheinander winden; wir würden uns wie Träumende vorkommen, und die Heimath nicht wieder erkennen.
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