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Rechtsprechung steht unter dem Diktat der Urteilspflicht und muss Mehrdeutigkeit daher einhegen und urteilend auflösen. Literatur hält Formen und Prozesse von Mehrdeutigkeit dagegen ohne Schwierigkeit aus. Sie werden als Potenzierung der ästhetischen Qualität sogar gerühmt und forciert. Die Beiträge des vorliegenden Bandes sind Texten und Rezeptionszusammenhängen gewidmet, die Rezipientinnen und Rezipienten explizit in eine Richterposition setzen. Konkret geht es um literarische Phänomene, bei denen Rezipierende nicht bloß verstehen und deuten, sondern (be- und ver-)urteilen ¿ zum einen im engen (juristischen) und zum anderen im weiten (ästhetischen) Sinne des Urteilsbegriffs. Zu unterscheiden sind hierbei Laienurteile in Strafsachen und die Einforderung professioneller Urteile, bei denen Leserinnen und Leser (metaphorisch) als Kunstrichter angesprochen, konstruiert oder zu agieren verpflichtet werden. Das literaturgeschichtliche Spektrum reicht dabei vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, mit einem Schwerpunkt im frühen 20. Jahrhundert.
Verrechtlichungsprozesse von Literatur stellen als Kollisionsfall von Kunstfreiheit und allgemeinem Persönlichkeitsrecht nicht nur für die Jurisprudenz eine Herausforderung dar. Auch die Fiktionstheorie findet im besonderen Redestatus und den Fiktionslizenzen der Literatur ein reiches Feld. Die vorliegende Studie widmet sich systematisch anhand tatsächlich verhandelter Fälle und mit Blick auf neuere Fiktionsansätze der Frage, ob fiktionalen Texten Persönlichkeitsrechtsverletzungen angelastet werden können. Hierfür wird ausgehend von der Referenzstruktur fiktionaler Literatur untersucht, in welchen Fällen sich Elemente in der Darstellung literarischer Figuren auf reale Personen beziehen lassen und infolgedessen justiziabel werden können.
Öffentliche Kontroversen um Literatur werden primär unter ethischen und juristischen Prämissen diskutiert und münden oftmals in Debatten, die den Zensurvorwurf perpetuieren. Darüber geraten die Lizenzen, auf die sich Literatur in Theorie und Praxis gern beruft, schnell in Vergessenheit. Der interdisziplinär angelegte Band widmet sich den Sondererlaubnissen fiktionaler Literatur, die unter dem Schlagwort ¿Lizensur¿ präsentiert, kritisch analysiert und historisch kontextualisiert werden. Auf diese Weise wird das spannungsreiche Verhältnis zwischen Fiktion und Lizenz in einen literatursysteminternen, geschichtlichen sowie rechtlichen Zusammenhang gestellt.
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